Die Erfindung – Teil 6

Ich wachte am Samstag früh auf und spürte die Kraft der Möglichkeiten. Ein ganzes Wochenende ohne lästige Unterbrechungen lag vor mir, um an der Erfindung zu arbeiten.

Als erstes machte ich mir einen Plan:

1. Anzeige einbauen, die den Spin des ankommenden Balls anzeigt.
2. Optimalen Zeitpunkt für das Ausholen und Treffen des Balls berechnen und anzeigen.
3. Einblenden der prognostizierten Flugbahn des Balls und Treffpunkt auf dem Tisch markieren.
4. Training mit richtigem Gegenspieler.

Ich schaute mir den Plan an und erledigte das Einfachste sofort. Nachricht an Ben: „Hi Ben, hast Du morgen 15 Uhr Zeit? Treffpunkt bei mir, bring TT Sachen mit.“ Er antwortete prompt: „Klar, willst Du eine weitere Abfuhr :-?“
Ich antwortete: „Wir werden sehen.“

Dann machte ich mich an die Verbesserung des Head-Up Displays. Den angezeigten virtuellen Schattenspieler schmiss ich raus, stattdessen baute ich eine Schnittanzeige ein. Sie war in Form eines Pfeil an den ankommenden Ball geheftet. Die Länge des Pfeils gab die Stärke der Ballrotation an, die Richtung des Pfeils die Art des Schnitts: Unter-, Ober-, Seit- und Querschnitt.

Es lief gut, ich vergaß Zeit und Raum und als ich mit der Anzeige des optimalen Balltreffpunkt fertig war – Ich hatte einen Farbsaum um den Ball erzeugt, der von gelb nach schwarz wechselte, je dichter der ideale Balltreffpunkt kam und sich rot verfärbte, je länger dieser Zeitpunkt schon verstrichen war, wusste ich, dass ich es schaffen könnte.

Zuletzt fand ich einen einfachen Weg die Flugkurve des Balls zu prognostizieren und mit einer gestrichelten Linie anzuzeigen. Perfekt. Erschöpft fiel ich in einen traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen sprang ich um 10:30 aus dem Bett, frühstückte drei Nutellabrote und ging dann direkt in den Keller.

Ich stellte die Ballmaschine auf zufälliges Spiel ein und übte, übte, übte. 

Mit jedem Schlag lernte ich, besser auf die Anzeigen zu reagieren, meine Ausholbewegung zu koordinieren und mit dem passenden Schlägerwinkel im richtigen Zeitpunkt zu treffen.

Als Ben an der Haustür klingelte, war ich bereit.

Die Erfindung – Teil 5

Schon auf dem Weg zur Sporthalle am nächsten Freitag, wusste ich, dass es ein Scheißtag werden würde. Meine Eltern hatten sich mal wieder gestritten, worum es ging, who cares. Kurz vor der Halle hatte ich einen Platten im Hinterrad und musste schieben und als ich endlich bei der Halle ankam, begrüßte mich Ben wie immer mit Handschlag und: „Hi Jörg, alles Cool?“. Bevor ich antworten konnte sah ich Kathi, wie sie sich mit Küsschen links und Küsschen rechts von einem viel älteren Typen, der sogar schon Barthaare auf der Oberlippe hatte, verabschiedete. Der Tag war gelaufen und ich konnte Ben nur gequält antworten:“Cool, klar.“

Nach der Aufwärmung ging es an die Tische. Ich durfte mit zwei anderen Balleimertraining bei Markus machen. Die Falkenbergübung bekam ich überhaupt nicht hin. Rückhand, Vorhand, Rückhand und Vorhand aus der Vorhandseite machten mich total fertig. Nils und Jamiro machten es viel besser. Doch Markus lobte uns alle für die Verbesserungen, die wir während der Übung schafften. Dabei verglich er uns nicht gegenseitig, sondern stellte nur fest, wenn wir etwas besser als zu Beginn der Übung hinbekommen hatten. Eine ganz neue Erfahrung für mich, denn sonst schaue ich immer auf den Besten und wenn ich es nicht bin, werde ich schon mal sauer und will dann gar nicht weiter machen.

Markus wurde nicht müde zu betonen, wie wichtig die Beinarbeit und dabei schnelle und tiefe Site-Steps im Tischtennis sind, eine Information, die mir bisher noch nicht so klar war und die ich unbedingt in mein Training einbauen musste.

Das abschließende Spiel gegen Tom, einen der älteren Spieler, verlor ich klar. Ein ums andere Mal erkannte ich den massiven Unterschnitt in seinen Bällen nicht, so dass ich den Ball ins Netz schlug. Und wenn ich dachte, der Ball hätte ganz viel Unterschnitt, war er leer und sprang so hoch, dass Tom ihn mir um die Ohren haute.

Es war nicht mein Tag.

Zuhause setzte ich mich an meinen Computer und versuchte mein virtuelles Trainingssystem zu verbessern, aber auch das wollte heute nicht gelingen. Entnervt gab ich auf, legte mich aufs Bett und drehte die Anlage auf, bis ich gar nichts mehr fühlte außer die Bässe der Musik.

6. Teil

Die Erfindung – Teil 4

Zwei Wochen später war der Prototyp fertig. Ich hatte einen freien Cloud Service zur Mustererkennung bewegter Bilder, wie er auch zur Steuerung autonomer Autos genutzt wird, so angepasst, dass damit auch die schnellen Aktionen des Tischtennis aufgelöst werden konnten. Ich trainierte das neuronale Netz mit den vielen Videos auf YouTube und mit den Lehrvideos von Timo Boll Webcoach, zu dem ich seit kurzem ein Premium Zugang hatte. Hier gab es das beste Videomaterial zum erlernen von Flip, Block, Schupf, Topspin, Konter, Banane, Abwehr- und Aufschlag.

Bei der zweiten Komponente der Erfindung konnte ich aus dem Vollen schöpfen: In den letzten vier Jahren hatte ich in meiner Freizeit und in vielen durchwachten Nächten an dem Open Source Projekt „Ping Pong“ mitgearbeitet. Wir hatten, basierend auf der Unreal Engine von Epic Games einen Tischtennis Simulator geschrieben, den ich leicht auf meine Bedürfnisse anpassen konnte.

Über vier Kameras, die ich um unsere Tischtennisplatte im Keller verteilt hatte, gelangte die Spielsituation in meinem Gaming PC, der daraus ein komplettes dreidimensionales Modell der Spielsituation berechnen konnte. Die Rechenleistung reichte aus, um dies bis zu 500 Mal in der Sekunde zu erledigen. Schon verrückt, wie leistungsfähig die aktuellen Grafickarten geworden sind, im Jahr 2000 hätte mein Spiele PC mit dieser Rechnenleistung locker die Spitzenposition der leistungsstärksten Computer der Welt erobert.

Der Computer konnte gleichzeitig die Spielsituation analysieren und daraus einen künstlich generierten Spieler, der Timo Boll sehr ähnlich sah, generieren. Dieser virtuelle Spieler wurde in meine AR-Brille projeziert, mit der ich gleichzeitig das Spielgeschehen und die Spieleranimation vor mir sehen konnte. (Das funktioniert so ähnlich wie ein Head-Up Display im Düsenjet.)

So ausgestattet mit der Brille vor dem Gesicht – siehe Bild oben – hatte ich ein sich perfekt bewegenden und schlagenden Spieler in meinem Blick, den ich nur noch nachmachen brauchte.

Das hört sich vielleicht leicht an, aber beim Training an unserer Ballmaschine im Keller wurde mir schnell klar, dass ich noch sehr viel Training vor mir hatte. Aber das kante ich schon von den Computerspielen, bei denen ich mühsam Stück für Stück besser geworden bin, manchmal über Jahre hinweg. Auch da hatte ich mich nicht demoralisieren lassen.

Ich wußte, ich hatte ein Ziel, nichts würde mich aufhalten, so gut wie Kathi zu werden.

5. Teil

Die Erfindung – Teil 3

Ich stand auf einer Anhöhe, neben mir Oasis und Driver, meine Gefährten. Mein Blick ging durch mein Visier, auf dem alle wichtigen Statusinformationen und das Zielkreuz zum Anvisieren der Gegner sichtbar war. Klar, dass wir diesen Strike gewinnen und damit die ewige Bestenliste von NiteForte anführen würden.

Oasis nahm gerade das Gebäude vor uns unter Beschuss, als Driver mir übers Headset zurief: „Ich geh rein, gib mir Feuerschutz.“ Ich sprang nach vorne, drückte zweimal schnell die linke Maustaste, um zu springen und stand am Tischtennistisch, auf der anderen Seite Kathi, die zum Aufschlag ausholte.

Keine Zeit zum Nachdenken, da kam schon der Aufschlag angeschossen. Ich hatte keine Chance. Auch der zweite Aufschlag schlug so schnell in meiner tiefen Rückhand ein, dass ich nicht reagieren konnte. Doch jetzt war ich dran. Als ich mich auf meinen Aufschlag vorbereitete, fielen mir verschiedene Anzeigen in meinem Sichtfeld auf, die mir wie beim Computerspiel helfen konnten.

Ich warf den Ball hoch und sah einen vertikale Balken, der seine Farbe änderte, als der Ball wieder runter kam. In dem Moment, als er knapp über der Tischkannte war, blinkte er grün, dass sollte wohl bedeuten, dass jetzt der optimale Moment zum Schlag war. Leider verpasste ich den Ball, doch im nächsten Versuch war ich schon besser. Der Ball kam regelgerecht übers Netz, Kathi antwortete aber mit einem tollen Vorhand Flip, 4 zu 0 für sie.

Bei ihrem nächsten Aufschlag war ich schon besser: der ankommende Ball war von einem roten Lichtschein umgeben, damit wurde der Schnitt markiert. Rot signalisiert Oberschnitt und blau bedeutet Unterschnitt. Die Flugkurve des Balls war durch einen blassen Streifen gekennzeichnet, ich konnte also ganz schnell erkennen, wo der Ball auf meiner Seite aufkommen würde. Klasse, dachte ich mir, so gewinne ich gegen sie.

Die nächsten Punkte waren ausgeglichener, doch am Ende verlor ich 11:5. Es war zwar einfacher, mit den Anzeigen zu spielen, doch fiel es mir noch schwer alle Informationen in meine Reaktionen einfließen zu lassen. Mir fehlte Training, aber ich sah einen Weg besser zu werden.

Als wir uns am Ende des Spiels abklatschten, hörte ich Kathi sagen:“Toll Jörg, Du bist ja echt schnell besser geworden, bald wird es schwer werden, gegen Dich zu gewinnen.“ Darauf fiel mir nichts ein, ich erwiderte nur: „Ach, Du spielst doch noch viel besser als ich.“

Als Kathi lächelte ging das Licht in der Halle aus und ich wachte auf.

4. Teil

Die Erfindung – Teil 2

Zu Hause erwartete mich meine Mutter mit einem opulenten Abendessen und ähnlich vielen Fragen wie es vegetarische Bio-Aufstriche auf dem Tisch gab. Wie mich das nervte. Immer wollte sie alles ganz genau wissen, als ob ich noch ein Kind wäre.

Irgendwie schaffte ich, dass sie aufgab und ich verzog mich in mein Zimmer. Dort setzte ich mich gleich in meine Denker-Ecke, ich brauchte einen klaren Kopf und eine gute Idee.

Was war in der Sporthalle passiert?
Ich machte meine Augen zu, stellte mir nochmal die Tischtennishalle vor, sah Kathi beim Balleimertraining und zack, wieder bemerkte ich, wie mein Herz schneller schlug, wie beim Spurt auf dem Fahrrad. Und da war wieder das angenehme Kribbeln im Bauch und meine Ohren wurden auch schon wieder rot.

Der Fall war klar, ich hatte mich verliebt oder, wie es mein älterer Bruder ausdrückte, verknallt. OK, doch was sollte ich machen? Wie könnte ich an Kathi rankommen? Einfach hingehen und sagen: „Hey,willst Du mit mir gehen“, ging ja wohl nicht.

Ein paar Momente später kam mir die Idee: Wenn ich so gut wie sie spielen könnte, würde sie mich bemerken und vielleicht sogar mit mir reden und dann wäre alles möglich.

Ben hatte erzählt, dass man viel und regelmäßig trainieren müsse und so früh wie möglich, am besten vor dem 5. Lebensjahr beginnen sollte, um richtig gut zu werden. Da war ich viel zu spät dran. Doch es müsste doch auch einen schneller Weg geben, eine Abkürzung.

Es war spät geworden, mein Kopf konnte nicht mehr denken. Ich ging widerwillig ins Bett, morgen würde mir bestimmt etwas einfallen.

Die letzten Gedanken bevor ich einschlief, zeigten Kathi, ihren wilden, roten Haarschopf, der frech hin und her wirbelte, während sie alle Bälle parierte und mich lachend zu sich winkte.

3. Teil

Die Erfindung – Teil 1

Einen Tag nach meinem 13. Geburtstag sah ich sie und es war um mich geschehen. Mein bester Freund, Ben hatte mich zum Tischtennis Training in unseren kleinen Dorfverein mitgenommen. Wir hatten in der letzten Zeit regelmäßig in den Schulpausen gespielt und Ben meinte, es wäre jetzt Zeit, besser zu werden. Ich stimmte zu, hauptsächlich um meine Eltern zu besänftigen, die mir schon lange auf die Nerven gingen. Immer wieder ermahnten sie mich:„ Jörg geh an die frische Luft und sitz nicht dauernd vorm Computer.“ Sie hatten keine Ahnung von dieser faszinierenden Welt. Im Alter von sechs Jahren hatte ich eine Microsoft Veranstaltung in Berlin Mitte besucht, bei der uns Kindern das Programmieren beigebracht werden sollte. Ich war der Einzige, der richtig begeistert war und dran geblieben ist.

Sie hieß Katharina, wurde von allen Kathi genannt und trotzdem sie erst 14 Jahre alt war, konnte sie es schon mit den besten Spielern des Vereins aufnehmen. „Das ist das tolle an diesem Sport“, erklärte Ben, als wir auf eine freien Tisch warteten, „es geht nicht um Kraft sondern um Schnelligkeit und da können wir mit den Erwachsenen mithalten!“

Ich hörte nur halb zu. Verlegen schielte ich zu Kathi, die am Balleimer wie ein Wirbelwind hin und her wetzte und kleine Plastikbälle schlug. Ihre Bewegungen waren präzise und schnell, hatten aber auch etwas anmutiges, leichtes. Sie spielte nicht nur Tischtennis, sie war das Tischtennisspiel und das erinnerte mich an meine besten Momente vor dem Computer, bei denen ich Raum und Zeit vergaß und ein Teil des Computers wurde.

Plötzlich raste ein Querschläger direkt auf mein Gesicht zu. Ohne nachzudenken, ganz automatisch, bewegte sich meine Hand und fing den Ball auf. Kathi, die bisher mit dem Rücken zu uns gestanden hatte, drehte sich um. Ihr Blick traf mich wie ein wuchtiger Aufschlag. Mit breitem Lächeln, das ihre Sommersprossen zum Leuchten brachte, schien sie mir zuzurufen: „Hey Süßer, wirf den Ball zurück!“

Ihr könnt Euch sicher vorstellen, das mir das Herz in die Hose rutschte, mein Gesicht einer Tomate glich und mein Rückwurf meilenweit neben Kathis ausgestreckter Hand landete. Trotzdem bedankte sie sich mit einem kleinen Knicks.

„Was ist denn mit Dir los?“, fragte Ben. „Nichts, wieso?“, antwortete ich mit meinem besten Pokerface. „Komm, da ist ein Tisch freigeworden“, sagte Ben und setzte sich in Bewegung. Ich hatte Mühe meine Beine kontrolliert zu bewegen und das wurde auch im Spiel nicht besser. Ben besiegte mich klar 11:3, 11:5 und 11:1, ich hatte nicht den Hauch einer Chance. Wie gut, dass Kathi überhaupt keine Notiz von uns nahm.

Nach dem Spiel kam Markus, einer der Trainer auf uns zu, stellte sich vor und lobte unser Spiel. Wir hätten gute Anlagen und könnten es mit regelmäßigem Training weit bringen.

Er und auch ich wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie recht er damit haben sollte.

2. Teil